Interview (CZ/DE) parue dans l’hebdomadaire tchèque Demokratický střed, le 3 juin 2013 (Dossier spécial « extrémistes, populistes et clowns politiques en Europe centrale »). Une version en allemand est également disponible ci-dessous.
Version allemande originale – Deutsche Fassung
Tschechien hat in den vergangenen Wochen eine Welle von Populismus erreicht. Die Präsidentenwahl, zwei Kandidaten : der eine als ein völkischer normaler, obwohl intellektueller Führer, der andere als bürgernahe weltrenomierter Aristokrat mit hohen Standardansprüchen. Wo liegt der Trend in der Spaltlinie ?
Was nach der Präsidentenwahl in Tschechien europaweit besonders hervorsticht ist der relative Ausfall des Euroskeptizismus. Man hört, nach Milos Zemans Wahl soll bald die EU-Flagge wieder über der Prager Burg wehen. Ein Euroföderalist im Endduel mit Euro-Fürst Karel Schwarzenberg, dessen Partei seit 2011, stolzer Mitglied der europäischen Volkspartei (EVP) ist. Beide kritisierten bekanntlich die europhobische Haltung Václav Klaus’. Eine Friedensbotschaft an Brüssel also.
Dabei ist heutzutage die Kluft zwischen Proeuropäer und Euroskeptiker nur eine unter vielen Spaltlinien in der Politik. Andersgesehen ist das tschechische „Finale“ an sich ein Sieg der Populisten gegenüber den Technokraten und anderen politischen Fachspezialisten. Tschechien hat für Kontinuität im politischen Styl gewählt. In Prag löst ein Linkpopulist einen Rechtspopulisten ab.
Der Volkspopulist Zeman war dem Elite-Demagoge Schwarzenberg diesmal überlegen. Das dahintersteckende ideologische Software ist eher zweitrangig. Entscheidend ist hier weniger die intellektuelle Kapazität und die politische Vernunft als die charismatische Überlegenheit.
Schwarzenberg, ein alter Konservativer, der ein Punkimage annahm und bei jungen Leuten Punkte sammelte. Reicht « PR » um die Politik zu steuern, bzw. kann man überhaupt noch von Politik sprechen, wenn man keine Inhalte vermittelt?
In der PR-Politik gilt es so viel wie mögliche Marktanteile zu erobern. Es geht um Nischen-Marketing; jede Zielgruppe wird hier separat gepflegt. Die Bilanz ist ein Mangel an politischer Einträchtigkeit, keine klare Linie, das große Bild fehlt.
Im letzten Sprint zur Stichwahl wurde Schwarzenberg indessen zur Polit-Marke, verwirrend inhaltslos, und mit konterintuitiven PR-Initiativen.
Das amüsante Punkimage sollte dem beabsichtigten Imagebruch nutzen: vom staubigen Fürsten zum „coolen“ Kultpolitiker. Das Hype Auftreten des konservativen galt natürlich als (gelungene) Charmoffensive auf die jungen Wähler.
Doch gerade diese konzeptuelle und ironische Haltung, von der „LOL-Kultur“ im Internet geprägt, und für eine gebildete junge Oberschicht zunehmend attraktiv, vergisst einerseits dass viele Bürger zunächst mit dem Bauch wählen, anderseits dass so ein „re-Branding“ zum Vertrauensbruch mit der traditionellen Wählerschicht führen kann. Dementsprechend sollte man in einer Präsidentschaftswahl möglichst inklusiv kommunizieren, jeglichen Generationsbruch meiden.
Man sieht auch dass die europäischen Demokratien, inkl. Tschechien, eine zivile Entwicklung durchgehen. Die Konsumgesellschaft hat den uhrpolitischen Ritus graduell zur Politikshow gemacht – Inhalt ist „out“, ein Krieg der Marken ist angesagt, die Egopolitik triumphiert. Dieser Trend wird auch von dem übertritt zur Direktwahl hervorgehoben. Was zählt ist: wer hat den politischen X-Factor. Tschechien sucht den Superstar.
Der andere, ein Intellektueller, der das Image eines Erzgrobians und eines einfachen Mannes pflegt. Ist es in der Politik von heute noch wichtig viel Testosteron zu zeigen?
Rein-wissenschaftlich ist die Sache ernst zu nehmen. Wo bei Affen Testosteron dem sozialen Status und dem führenden Verhaltens antwortet, neigen auch Männer mit hohem Testosteronspiegel zum dominanten Verhalten, mit Tendenz zur Streitsucht.
Die tschechische Stichwahl war in dieser Hinsicht eher „Bestiel“, geprägt von primären Erregungen, antagonistisch und zeitig Angsterweckend – vor allem im Grenzland (Stichwort: antideutsche Töne).
Der zukünftige Präsident Zeman trumpfte mit seiner Patriotismus-Kampagne und vorwies in seinen frontalen angriffen sicherlich kein Gentlemen Verhalten. Diese Haltung zeigte sich zwar als erfolgreich, ist jedoch meinesachtens ein Zeichen der Entzivilisierung, sie enthüllt die dekadenten Zuständen der Demokratie.
Andersgesagt, die politische Inszenierung eines bestimmten Hormonalzustandes und Besinnung von irgendwelchen Uhrtrieben gleicht einer gesellschaftlichen Regression.
Aggressivität ist auch nur möglich in einem bestimmten politischen System. In reinen Konsensregierungen sind Attacken unter der Gürtellinien Tabu. Man weiss dass man irgendwann zusammensitzen muss um eine politische Mehrheit zu formen. Eine Direktwahl ist dagegen ein Duell auf Leben und Tod; „the winner takes it all“.
Welche Politikertypen sind trendy?
In Europa sind mehrere Politikertypen vorhanden, die grundsätzlich der schon erwähnten Spaltlinie zwischen Populisten und Technokraten entgegenkommen.
Mit der französischen Präsidentschaftswahl im letzten Jahr kam mit François Hollande ein anticharismatischer Parteimensch an die Macht. Hollande versprach den Umbruch mit der Sarközy-Ära. Mehr Bescheidenheit, weniger Dominanz. Ein Gegenmittel also. Ein „normaler Präsident“ im Kontrast zum „Hyperpräsidenten“ Nicolas Sarkozy. Ein ähnlicher Typ ist Pierluigi Bersani, Chef des Mitte-links-Bündnisses und „trauriger Gewinner“ der letzten Wahlen in Italien. Auch er ist der exakte Gegentyp vom mächtigen Mediendemagogen Silvio Berlusconi.
Daneben findet man die „Eurostreber“; etwa die Kanzlerin Merkel oder Mario Monti. Sie beruhigen die Märkte, zeigen aber kaum Gefühle – auch wenn Merkel innenpolitisch sich ganz anders profiliert.
Die neuen „rising Stars“ sind die sogenannten Neopopulisten. Den verstorbenen Dandys Jörg Haider und Pim Fortuyn folgen heute intellektuelle Volkspopulisten wie Bart De Wever in Flandern, die eine wahre Metapolitik führen (wie man das auch von Viktor Orban gewohnt ist) – so wie vom italienischen Marxisten Antonio Gramsci konzeptualisiert d. h. Kulturhegemonie, – oder sterile „Proll-pulisten“ wie Beppe Grillo, der ehemalige Komiker der mit antipolitischen Redeflüssen im Moment Italien lahmlegt. Feminine Leader sind auch neulich vorhanden sei es das Phänomen der „Grizzly Moms“ in de vereinigten Staaten (z.B. Sarah Palin) oder Marine Le Pen, die in Frankreich den Front National salonfähig umwandelt.
Eine ganz neuwertiger Politikertyp ist der fast anonyme „Community Manager“ eines digitalen politischen Schwarms, so wie man es heute bei der Piratenpartei in Deutschland beobachten kann.
Die Erfahrung zeigt, dass man kaum noch zwischen rechts und links unterscheiden kann. Leute wissen oft nicht mal, wofür rechts und links steht. Ist diese Klassifizierung noch zukunftsfähig, bzw. macht es für einen Politiker heute noch Sinn sich auszugrenzen?
Diese Klassifizierung ist äußerst paradoxal, und enthält Widersprüche auf beiden Seiten. Sich rechts als liberal und konservativ zu bezeichnen, d.h. die „traditionellen Werte“ und den Turbokapitalismus (mit seinem Pendant, dem standardisierenden Konsumismus) gleichzeitig verteidigen zu wollen gleicht einer falschen Auslegung. Sowie man Kapitalismus bekämpft und gleichzeitig den weiteren „Fortschritt“ anstrebt. Man wirft heutzutage mit politischen Themen schwülstig herum wobei es weitgehend um „Branding“ und Matchverhältnisse geht.
Was ideologischen Spaltungen angeht, gibt es wesentlich markierende Kontraste. Z.B. der schon von Ferdinand Tönnies angedeutete Kontrast zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft. Einerseits die Befürworter der globalen Weltordnung („Global Governance“ als Ideal), des Multikulturalismus, der weltweiten Ausdehnung der Menschenrechte, der Freien Marktwirtschaft, anderseits die Verteidiger des Partikularismus, der homogenen Volksgemeinschaften, des nationalen und regionalen Protektionismus. Zeman’s Anfälle auf den „vaterlandslosen Gesellen“ Schwarzenberg, kann man hier adäquat eingliedern.
Die Technik ändert die Politik. Wie vor Jahrhunderten der Buchdruck, so heute die sozialen Medien. Wie können sich diese noch weiterentwickeln und die Politik noch mehr beeinflussen? (Wer nutzt die sozialmedien am erfolgreichsten in Europa?)
Der schon erwähnte Populist Beppe Grillo hat die sozialen Medien äußerst erfolgreich verwendet. Grillo’s politischer Kreuzzug begann auf seinem Blog vor mehr als 5 Jahren. Der Schlüssel zum Erfolg war die Verknüpfung seines digitalen Aktivismus mit „offline“ Veranstaltungen (seine berühmten „Vaffanculo Days“) und seinem Talent als Entertainer. Anders gesagt kombiniert er die revolutionären Aspekte der Netzwerkdemokratie, wie man es von den Piraten gewohnt ist, mit der klassischen Rolle des antipolitischen Tribun (der „archaische“ Community Manager).
Der Einfluss ist jedoch beschränkt und bezieht sich weitgehend auf die jüngeren Wähler. Indertat könnten ältere – nicht informatisierte – Abstimmende sich mit 100% digitalen Kampagnen abgewertet fühlen. Der Wandel würd sich erstmals langsam vorsetzen. Wichtig ist die Komplementarität der Kampagnen-Tools.
Soll Europa einen immer stärkeren Euroskeptizismus und wachsenden Nazionalismus fürchten? Gibt es Prävention?
Die lokale Selbstbezogenheit scheint Momentan europaweit zu triumphieren. Die Finanzkrise hat Europa als Zukunftsprojekt lahmgelegt.
Europa braucht schleunigst einen politischen Neuaufbau, eine gemeinsame Utopie. Völker kann man mit dem jetzigen wackeligen „kalten“ Marktfrieden nicht mehr vereinen. Euroskeptizismus kann man nur bekämpfen idem man „warme“ Politik treibt.
Dabei mangelt es au EU-Ebene an Führungstypen, kurzum an Europopulisten die Bürger neu inspirieren könnten. Der direkte Vergleich zwischen nationaler und Europolitiker ist Derzeit für letztere nicht schmeichelhaft, Charismatisch-gesehen befinden sich die großen politischen Formate kaum in Brüssel. Die EU bleibt Sündenbock ohne sich bekanntermaßen zu wehren wobei Europa weitgehend von Mitgliedstaaten gesteuert wird. Rein kommunikativ gesehen: Europa schafft sich ab.
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